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Innovative Social Entrepreneurs sind weder Gazellen, noch Einhörner

Constanze Stockhammer, Innovationsmanagerin und Geschäftsführerin von SENA Social Entrepreneurship Network Austria, setzt sich bei Politik und Wirtschaft für die Interessen gesellschaftsorientierter Unternehmer*innen ein. Trotz außerordentlicher Innovationskraft fristen diese in Österreich ein Orchideendasein. Corona hat die Situation für viele verschärft. Eine Bestandsaufnahme.

Im Gespräch mit Doris Passler


Foto © Unsplash, Mika Baumeister

Die Start-up Welt ist sowas wie das Disney-Land der Wirtschaft. Ein Kosmos voller Träume, die wahr werden. Das fasziniert die Leute. Die Errungenschaften der rund 4.800 Social Entrepreneurs werden hierzulande hingegen vergleichsweise wenig wahrgenommen. Woran liegt das?

An mehreren Dingen. So gibt es für den Begriff Social Entrepreneurs keine deutsche Entsprechung. Der große Irrtum ist: Viele glauben, es ginge dabei rein um soziale Themen.

Social Entrepreneurs sind aber Unternehmer*innen, die große wie kleine gesellschaftliche Innovationen in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen voranbringen.

Sie bewegen sich dabei zwischen klassischen Unternehmen und Non-Profit. Was macht sie besonders?

Social Entrepreneurs haben nicht gegründet, um mit ihren Produkten und Dienstleistungen maximale Gewinne und Umsätze zu erzielen, sondern die größtmögliche gesellschaftliche Wirkung.

Im Gegensatz zu Non-Profit-Organisationen sind sie bekennend gewinnorientiert. Gewinne sind aber nur Mittel zum Zweck und werden überwiegend reinvestiert. Das unterscheidet sie von klassischen Unternehmen. Social Entrepreneurs sind also eine eigene Kategorie.

Constanze Stockhammer gibt Social Entrepreneurship eine starke Stimme. Foto © privat


Ich denke, vielen ist gar nicht klar, was gesellschaftliche Innovation bedeutet. Was ist damit gemeint?

Alles was eine neue gesellschaftliche Praxis hervorbringt. Das geht weit zurück in die Geschichte der Menschheit. Nehmen wir die Universitäten: Einst war Wissen in unserem Kulturkreis allein der katholischen Kirche vorbehalten. Durch die Universitäten wurde der Zugang zu höherer Bildung für alle möglich. Das war eine große gesellschaftliche Innovation. Friedrich Wilhelm Raiffeisen war ein gesellschaftlicher Innovator wie er im Buche steht. Er führte das Genossenschaftswesen ein und die Menschen konnten erstmals Verantwortung für ihre Spareinlagen und Mittel übernehmen. Oder Florence Nightingale, die das Krankenpflegewesen revolutionierte.

Und heute?

Ich sehe gesellschaftliche Innovation überall dort, wo die Prozesse unseres Zusammenlebens gestaltet werden. Da spielt Digitalisierung eine unheimlich große Rolle und viele Social Businesses sind Vorreiter in digitaler Inklusion.

Bemühen wir nochmals den Vergleich Start-ups und Social Entrepreneurs. Wer bringt mehr Wirtschaftsleistung?

Laut einer aktuellen Erhebung von SENA aus 2020 sind Social Entrepreneurs hinsichtlich Beschäftigung und Umsätzen durchaus mit Österreichs Start-up-Szene vergleichbar, stehen keineswegs zurück.

Die Beschäftigungswirkung ist sogar etwas höher, da die meisten personalintensive Dienstleistungen anbieten und Jobs schaffen.

Oft sind es Dienstleistungen am Menschen. Verursachte Corona da nicht eine markante Zäsur?

Und ob. Es kam schmerzlicherweise auch zu Schließungen. Der Lockdown und Social Distancing verunmöglichten es, direkt mit Menschen zu arbeiten. Auch im Tourismus traf es einige Social Businesses hart, etwa ein aufstrebendes Unternehmen, das nachhaltiges Reisen in Entwicklungsländern anbot. Es musste zusperren. Auch Gastronomiebetriebe wie das magdas der Caritas oder die Vollpension hatten mit hohe Einbußen zu kämpfen.

Sind Social Entrepreneurs per se Unternehmen in Schwierigkeiten?

Ein klares Nein. Auch wenn uns das das gängige Wirtschaftsparadigma mit seiner Gewinnmaximierung weismachen will.

Social Entrepreneurs unterliegen einem gänzlich anderen Wirtschaftsmodell: Gewinne werden reinvestiert. Rücklagen gibt es kaum, genauso wenig wie auf maximale ökonomische Effizienz ausgerichtete Prozesse.

Oft werden Menschen beschäftigt, die nicht so viel leisten können wie andere. Ihre Beschäftigung hat aber großen gesellschaftlichen Impact durch Inklusion und Diversität.

Schwierigkeiten gab es dennoch?

Während Corona haben staatliche Hilfsmaßnahmen ihr Ziel verfehlt: Der NPO-Fonds etwa kam nicht zum Tragen, weil Social Entrepreneurs gewinnorientiert sind. Durch geringe Eigenkapitalquoten konnten umgekehrt kaum anderen Unternehmensförderungen genutzt werden. Deshalb setzt sich SENA für ein besseres Verständnis des Wirtschaftsmodells von Social Entrepreneurs bei Politik und Wirtschaft ein. Denn ihr Engagement und ihr gesellschaftlicher Beitrag sollten in einer Krise nicht auch noch bestraft werden.

Das Regierungsprogramm hat sich zur Förderung von Social Entrepreneurship bekannt. Das war Anfang 2020. Was ist daraus geworden?

Dass Social Entrepreneurship und dessen spezielle Förderung ein Ziel der Regierung ist, ist eine erste Errungenschaft von SENA. Jetzt müssen wir darauf schauen, dass aufgrund des Corona-Wahnsinns nicht darauf vergessen wird.

Positiv ist aber, dass seitens der Fördergeber bei allen Förderprogrammen heutzutage nicht mehr nur auf rein technologischen Fortschritt geschaut wird, sondern auch auf den sozioökonomischen Impact.

Social Entrepreneurs sind geradezu dazu prädestiniert, als Pioniere vorzuleben, was hier alles möglich ist.

Gab's auch Gewinner*innen der Coronakrise?

Ja. Für manche brachte der Lockdown einen regelrechten Umsatzboost, wenn es etwa um arbeitsmarktintegrative Maßnahmen ging oder um regionalen und nachhaltigen Konsum. Die Online-Shoppingplattform markta.at beispielsweise konnte exandieren. Andere haben extrem agil reagiert und ihr Geschäftsmodell so adaptiert, dass sie Corona-bedingte Härten abfangen konnten.

Da kamen die Dynamik und große Wendigkeit von Social Businesses im Vergleich zum schwerfälligen Sozialsystem zum Vorschein. Das System kann von innovativen Unternehmer*innen lernen und tut es auch.

Wie funktionieren Wachstum und Skalierung im Social Business?

Sehr oft über Social Franchising.

Das heißt, es wir das Konzept weitergegeben und verbreitet. Das macht etwa das Social Business Sindbad erfolgreich in Österreich. Die Plattform tritt für Chancengleichheit ein und will den Berufseinstieg benachteiligter Jugendlicher erleichtern. Mittlerweile gibt es mehrere Standorte in Österreich. Oder auch atempo, die sich dafür einsetzen, dass alle Menschen gleichberechtigt arbeiten, leben und wohnen können. Sie sind auf 200 Mitarbeiter*innen gewachsen und arbeiten international in EU-Kooperationen.

Social Businesses sind also auch solide mittelständische Betriebe.

Immer mehr Menschen stellen sich die Sinnfrage im Job. Man träumt von einer Arbeitswelt, die purpose-driven ist. Ist Social Entrepreneurship gefragter denn je?

Ich sehe das schon. Gerade die junge Generation möchte Arbeit und Sinn verbinden.

Social Entrepreneurship ist eine Karrierealternative.

Hier wird vorgezeigt, dass man etwas tun kann, um etwa die Sustainable Development Goals, die SDGs, zu erreichen. Vielleicht wird man damit nicht reich, aber man kann gut davon leben.

Wie hilft SENA konkret?

Wir wollen die erste Anlaufstelle für Gründer*innen, Finanzierungspartner, Fördergeber*innen, Forscher*innen sein und Weiterbildung und Vernetzung im Bereich Social Entrepreneurship fördern. Zu aller erst aber wollen wir Social Entrepreneurs gegenüber Politik und Wirtschaft mit einer starken Stimme vertreten, damit sich die Rahmenbedingungen für ihr Tun verbessern.

Was wünscht du dir?

Für SENA eine langfristige Basisfinanzierung, Zeit und Unterstützer*innen. Für Social Entrepreneurship habe ich die Vision, dass Investor*innen, Politiker*innen und die Leute auf der Straße wissen, was Social Entrepreneurs sind und wofür sie stehen. Dazu versuchen wir von SENA, beizutragen.

Viele ringen um Finanzierungen. Was würde die Investor*innenakquise erleichtern?

Wenn das Wirtschaftsmodell der Social Entrepreneurs nicht mehr erklärt werden müsste. Sie sind weder Gazellen, noch Einhörner und es winkt nicht das schnelle Geld.

Investor*innen würden aber aufgrund des maximierten gesellschaftlichen Impacts an Reputation gewinnen und könnten auch für sich selbst mehr Sinnstiftung in ihre Arbeit bringen. Damit das erstrebenswert ist, braucht es noch viel Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit.

Innovationsförderung hatte lange nur neue Technologien im Visier. Das wolltest du ändern.


Ich war im Rat für Forschung für Gründungen, Start-ups und Innovationsförderung zuständig. Der Förderbegriff war damals rein technologiegetrieben. Ich wollte mehr Dienstleistungsinnovationen, Kreativwirtschaft und gesellschaftliche Innovationen ermöglichen. Das hat mich als Vertreterin des Rates auch zur Stakeholdergruppe namens GEMSE geführt. Dort bemühen sich Akteure wie die Industriellenvereinigung, die aws, die Forschungsförderungsgesellschaft, die Wirtschaftsagentur Wien, ashoka oder der Impact-Hub um mehr Social Entrepreneurship in Österreich. Beim Aufbau einer Interessenvertretung für diesen Bereich mitzuarbeiten, war für mich der logische nächste Schritt. SENA ist natürlich auch Mitglied der GEMSE geworden.


Du zeigst großartigen Einsatz für die Sache. Was motiviert dich?


Die größte Motivation ziehe ich daraus, dass ich mit SENA einen kleinen Teil dazu beitragen kann, dass diese großartigen Unternehmer*innen mit ihren Bemühungen weiter vorankommen.

Es ist faszinierend, zu sehen, wie sie mit nur wenig finanziellen Ausgangsmitteln, aber Inspiration, Innovationsfähigkeit und Durchhaltevermögen eine solche gesellschaftliche Wirkung zustandebringen. Das begeistert mich jeden Tag aufs Neue.


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