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Ein bisschen weniger Achterbahn wäre schon gut

Ein Poetry Slam ist ein literarischer Wettbewerb, bei dem die Teilnehmenden selbst verfasste Texte vortragen. Wer am meisten Applaus vom Publikum bekommt, gewinnt. Diana Köhle ist eine der Frauen, dank derer das Format in den letzten 15 Jahren auch in der breiten Öffentlichkeit immer bekannter und beliebter wurde – nicht zuletzt dank der Tagebuch Slams, mit denen sie seit 2015 durch Österreich tourt. Ich fragte Diana wie aus einem Experiment eine Erfolgsgeschichte wurde und wie sie jetzt nach zwei Jahren Pandemie wieder von vorne beginnt.



Salon Profession: Neben Studien der Medienpädagogik und des Kulturmanagements hast du auch das Psychotherapeutische Propädeutikum in Innsbruck absolviert. Das scheint mir eine gute Basis für deine Arbeit als Poetry Slam Masterin zu sein, vor allem für die Tagebuch Slams.

Ich wollte immer Therapeutin werden.

Diana Köhle: In unserer Clique an der Uni war immer klar, dass ich diejenige bin, die Therapeutin wird. Dann sind es alle anderen geworden, nur ich nicht. Ich würde die Tagebuch Slams nicht als Therapiesitzung bezeichnen, aber es tut extrem gut, mit anderen über Dinge zu lachen, die einmal ein großes Drama waren.


Die Poetry Slams sind mir irgendwie passiert. Mein Bruder (Markus Köhle, Anm.) ist Autor und ich war Stammgästin bei seinen Veranstaltungen in Innsbruck. Als ich nach Wien zog, habe ich das sehr vermisst, da es hier damals, 2004, noch keine regelmäßigen Poetry Slams gab.


Eines Nächtens zog ich mit einer Freundin durch die Lokale Wiens und wir beschlossen, das selbst in die Hand zu nehmen. So gründeten wir gemeinsam “textstrom” und Poetry Slams wurden schnell zu meinem Leben.


Half dir der Umzug nach Wien, dich neu zu erfinden?

Auf jeden Fall. Während meines Studiums drückte ich mich immer davor, Referate zu halten, weil ich so eine Panik hatte vor Leuten zu sprechen.

Nach meiner Übersiedlung nach Wien sagte ich mir: Ich möchte das aber können. Also stellte ich mich mit einer Rampensau wie Mieze Medusa auf die Bühne und konfrontierte mich. Mit der Zeit wurde es immer besser. Natürlich bin ich immer noch nervös, aber das gehört dazu.


Wie kamst du auf die Idee des Tagebuch Slams?


Ich wurde immer wieder gefragt, warum ich nicht selbst auftrete. Darauf antwortete ich immer: Ich schreibe nicht, aber ich habe Tagebuch geschrieben. Beim Lesen meiner alten Tagebücher stellte ich fest:

Das Leben war hart in den Bergen, ich hatte wenig Gleichgesinnte, aber viel Zeit zum Tagebuchschreiben.

Das brachte mich auf die Idee, im Zuge meiner Veranstaltungsreihe Slam P.anoptikum einen Tagebuch Slam auszuprobieren. Es hat so gut funktioniert, dass ich das fortführen wollte.



Zu dieser Zeit kam jemand vom TAG (Theater in der Gumpendorferstraße, Anm.) auf mich zu und fragte, ob ich nicht bei ihnen Poetry Slams veranstalten wollte. Ich hatte aber mit Slam B schon einen fixen Platz im Literaturhaus Wien und schlug ich ihnen den Tagebuch Slam vor – was allein wegen des Namens perfekt passte. Zum Glück konnte ich die künstlerische Leitung überzeugen, es auszuprobieren und es war sofort ein Riesenerfolg.


Nach einem Artikel im Falter kam David Schalko zu einer Show und hatte die Idee, den Tagebuch Slam ins Fernsehen zu bringen. Liebes Tagebuch lief 2014 als Mini-Serie im ORF.

Das veränderte mein Leben komplett. Denn mit einer TV-Sendung im ORF kriegst du Termine, ganz klar.

Ich wusste: das ist eine einmalige Chance, und wenn ich das Format jetzt nicht in die Bundesländer bringe, macht es jemand anderer.


Zu dieser Zeit hast du noch full-time gearbeitet, korrekt?


Genau, ich hatte nach dem Studium verschiedenste Jobs im Kunst-, Kultur- und Designbereich und veranstaltete die Poetry Slams for free und mit ganz viel Liebe in meiner Freizeit.


Nach dem Erfolg mit der ORF-Serie war es naheliegend, mich als Veranstalterin von Poetry Slams selbständig zu machen. Ich war Mitte Dreißig und setzte für mich eine Grenze: Bis zu meinem 40er probier’ ich es, und wenn es nicht klappt, mach’ ich wieder etwas anderes.



Gab es Hürden, die du überwinden musstest?

Als ich beschloss, meinen fixen Job aufzugeben und mich voll den Poetry Slams zu widmen, war ich überrascht, weil die Reaktionen fast unisono negativ waren.

“Was machst du, wenn es nicht funktioniert?” und: “Kann man denn davon leben?” waren die häufigsten Fragen. Ich ließ mich zum Glück nicht von meiner Entscheidung abbringen und achte seither besonders darauf, andere zu unterstützen und zu motivieren, wenn sie sich etwas trauen. Ich bereue nämlich immer viel mehr das, was ich nicht gemacht habe als wenn etwas einmal nicht so gut läuft. Ich wollte im Nachhinein nicht denken: Warum habe ich das damals nicht probiert. Ich veranstalte und moderiere Poetry Slams ja schon seit 2004 und selbständig gemacht habe ich mich 2015, ich konnte also auf etwas aufbauen.


Wie definierst du Erfolg für dich?

Einmal schrieb mir jemand: Ich weiß, was mir bis jetzt in meinem Leben gefehlt hat: der Tagebuch Slam! Das ist Erfolg für mich.

Ich kann Menschen glücklich machen und unterhalten. Ein voller Saal, Lachen, Applaus, das sind meine Drogen. Wenn der Funke überspringt.

Mittlerweile habe ich 241 Tagebuch Slams mit 492 unterschiedlichen Kandidat:innen in acht Bundesländern moderiert und jeder einzelne Abend ist einzigartig.


Ich habe nie damit gerechnet, dass es so wächst, und das freut mich natürlich sehr. Als One-Woman-Show mache ich alles selbst und ich bin schon unter allen Umständen auf der Bühne gestanden. Und dann ist natürlich viel unsichtbare Vor- und Nacharbeit zu tun. Ich schmunzle immer, wenn ich E-Mails bekomme an “Liebes Slam B Team” oder “Liebes Tagebuch Slam Team”. Das bin alles ich.


Was waren bisher deine liebsten Momente auf der Bühne?


Da kann ich mich gar nicht entscheiden, ich habe schon extrem viele berührende und lustige Momente erlebt.

Einmal gab es einen Heiratsantrag. Ich wusste es vorher und war entsprechend vorbereitet, trotzdem war ich nervös, denn was hätte ich gemacht, wenn er nein sagt?

Die Show musste ja weitergehen! Zum Glück wurde der Antrag angenommen, die Stimmung war toll, es gab Standing Ovations.


Ein anderes Mal las eine Frau den Eintrag vor, der beschrieb, wie sie ihre erste große Liebe kennengelernt hatte, und dann stand jemand im Publikum auf und sagte: “Übrigens, das bin ich und wir sind immer noch verheiratet.”




Du bist also eine Chronistin der österreichischen Pubertät!

Die jüngste Teilnehmerin war 16 und der bislang älteste Teilnehmer war Jahrgang 1925, das war der Freddy aus Ottakring. Die älteste Kandidatin ist Lore, sie hat ihren 80. Geburtstag bei mir auf der Bühne gefeiert.

Inzwischen haben sich also sehr viele Pubertätsgeschichten aus mehreren Jahrzehnten angesammelt und mein Kopf ist voller Zitate. So sind die beiden Bücher entstanden. Und weil ich die Geschichten der Menschen so spannend finde, gibt es seit April 2021 auch den Podcast, in dem ich Menschen paarweise interviewe: ein/e Teilnehmer:in mit einer Person, die in den Einträgen vorkommt.


Du hast immer wieder neue Ideen für Formate und Locations. Im Sommer veranstaltest du Poetry Slams an der Alten Donau, man liest sitzend auf einer aufblasbaren Badeinsel. Was inspiriert dich?


Ja, und die Enten quaken dazu! Tatsächlich habe ich die besten Ideen am Wasser. Und wenn es nicht am Meer, Fluss oder See ist, dann unter der Dusche. Und dann geh ich spazieren und verarbeite es. Im Gehen sprudelt es. Sehr wichtig ist auch anderer kultureller Input, auf Konzerte oder andere Veranstaltungen zu gehen. Es gibt eh schon alles, man muss es nur für sich selbst adaptieren.


Nach Corona-bedingten Pausen bist du wieder auf Österreichs Bühnen unterwegs. Was ist jetzt anders?


Reservierungen werden heute in der letzten Minute gemacht und ich weiß bis kurz vor der Show nicht: Werden wir voll? Ich bemerke auch eine gewisse Unsicherheit darüber, wie man sich verhalten soll, ein Zögern aus sich herauszugehen. Und die Maske ist ein zusätzliche Barriere.

Es braucht mehr Arbeit von mir, um die Stimmung anzuheizen. Die Menschen müssen wieder lernen, gemeinsam zu lachen.

Es ist wichtig, sich auf alles einzulassen. Auch wenn es einmal nicht so läuft, wird es wieder besser. Manchmal denk ich, ein bisserl weniger Achterbahn wäre schon gut, aber geradlinig läuft es nie. 2019 war bislang mein bestes Jahr und Anfang 2020 dachte ich: So kann es jetzt weitergehen. Und dann kam Corona. Jetzt muss ich wieder von vorne anfangen. Aber ich vertraue und glaube daran, dass es wieder wird, und bin motiviert.

Diana Köhle sucht Menschen in ganz Österreich, die aus ihrem Tagebuch vorlesen und ihre Five Minutes of Fame genießen möchten.

Alle Informationen auf www.liebestagebuch.at


Fotos: © Anna Konrath


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