Kann Zero Waste sexy sein? Und ob, wenn es nach Victoria Neuhofer geht. Zusammen mit Freundin Stephanie Sinko sagt die Salzburgerin mit ihrem Start-up Damn Plastic Plastikmüll den Kampf an. Ohne erhobenen Zeigefinger. Ein Blick in die Seele einer Jungunternehmerin, die die Welt zu einem besseren Ort machen will.
Im Gespräch mit Doris Passler
Zwei junge Frauen gegen Plastikmüll. Stephanie Sinko (links) und Victoria Neuhofer (rechts) vom Start-up Damn Plastic. Foto © Damn Plastic
Salon Profession: Was trifft eher auf dich zu? Draufgängerin oder Ruhepool?
Victoria Neuhofer: Ich bin ein Adrenalinjunkie. Ich wollte mal Ralleyfahrerin werden. Alles was mit schnellen Autos zu tun hat, war meins. Ich bin acht Jahre Downhill gefahren und liebe das Risiko. Vielleicht gibt es deshalb soviel Tempo in meinem Leben. Wenn andere müde werden, werde ich wach. Dafür ist Steph mein Ruhepool im Leben.
Deine Berufsbiographie ist turbulent. Derzeit pendelst du zwischen Mondsee, Salzburg, Linz und Wien. Jede Nacht an einem anderen Ort bist du gewöhnt.
Ich bin in Polen aufgewachsen. Meine Mutter ist in der Firma meiner Eltern (Anm. FN Neuhofer, einem Salzburger Traditionsunternehmen in der Holzindustrie) für Osteuropa zuständig und hat die meiste Zeit in Krakau gelebt. Mein Papa war immer in Salzburg. Unsere Familie war auf verschiedene Orte verstreut.
Ich bin schon während des Studiums in den Betrieb eingestiegen und habe in den letzten Jahren aus dem Koffer gelebt.
Meine Aufgabe war es, das Unternehmen bei 38 Kongressen und 60 Messen im Jahr zu vertreten und Neugeschäft nach Hause zu bringen. Ich bin ganz schön rumgekommen – von China bis nach Südamerika. Da ist der Radius im Moment etwas kleiner.
Rumreisen klingt aufregend. Was sind die Schattenseiten?
Auf den Messen ist viel 'Lärm'. Du machst eine Präsentation nach der anderen, bist den ganzen Tag auf den Beinen, abends mit Geschäftspartnern noch was trinken und morgens geht's wieder früh raus. Das ist ein ziemliches Pensum. Alles extrem getrieben.
Deine Eltern wollten, dass du die Firma von der Pike auf kennenlernst?
Ich war Mädchen für alles. Ich wurde für je ein halbes Jahr durch alle Abteilungen geschickt.
Zuletzt leitete ich den Vertrieb.
Geht es um den Rohstoff Holz, kennst du dich aus.
Ich hab' die Holzbau-HTL in Mödling gemacht und bin damals für die Schule von Polen zurück nach Österreich gekommen.
Da warst du vermutlich eines von wenigen Mädchen.
Die Frage hat sich nie gestellt. Seit ich denken kann, sollte ich die Firma übernehmen. Die technische Ausbildung war eine logische Folge.
Überhaupt konzentrierte sich immer alles auf meine Rolle als zukünftige Firmenchefin. Schon im Kindergarten wurde von mir erwartet, die 'Gang' zu führen, statt einfach Teil davon zu sein. Das war manchmal super hart.
Ich habe lange meine wahren Talente, etwa meine Kreativität im Marketing nicht weiterentwickelt. Das stand einfach nicht auf dem Plan.
Einen Betrieb mit ein paar hundert Mitarbeiter*innen zu führen und Businesskennzahlen waren das, was ich lernen sollte. Auf dieses Leben wurde ich vorbereitet.
FN Neuhofer ist Branchenführer in der Holzindustrie und ein Traditionsunternehmen mit 375 Jahren Familiengeschichte. Das wirft man nicht so leicht hin.
Ganz raus aus der Firma meiner Eltern bin ich nicht. Ich arbeite jetzt Teilzeit und bin für Marketing und Produktentwicklung zuständig. Dort schlägt auch mein Herz.
Ich will, dass wir noch nachhaltiger werden etwa im Verpackungsbereich.
Mit Stephanie Sinko hast du dich 2019 ganz dem Nachhaltigkeitsthema verschrieben und das Start-up Damn Plastic gegründet. Geplant war das nicht.
Als ich Steph vor zehn Jahren kennengelernt habe, war das Liebe auf den ersten Blick. Seit damals sind wir beste Freundinnen und haben vieles im Leben geteilt, das Studium in Wien und im Ausland, Reisen und jede Menge Parties.
Es ist kein Geheimnis, dass wir gerne nächtelang durchgefeiert haben.
Aber im Morgengrauen standen wir dann vor Bergen von Müll, Plastikbechern oder Einweggeschirr. Wenn Alkohol im Spiel ist, schmeißen die Leute einfach alles achtlos auf den Boden. Irgendwann hat's uns gereicht.
Wir fragten uns: Muss das wirklich sein? Machen wir Events doch plastikfrei und gründen wir ein Unternehmen für nachhaltiges Feiern.
Die Partyszene hat unser Angebot extrem gut angenommen. Jetzt mit Corona ist das natürlich vorläufig weggebrochen.
Dein Bewusstsein für Plastik im Alltag entstand aber lange zuvor durch eine Erkrankung.
Der Mensch ändert sich nur, wenn es wirklich weh tut.
Auf einer meiner Reisen habe ich mir einen Parasiten eingefangen. Ich habe ständig Schmerzen und leide oft unter Fieber. Also hab' ich begonnen nachzulesen, was meinen Körper sonst noch schädigen könnte und stieß auf Mikroplastik. Ich war wirklich schockiert, wo das überall drin ist. Ich glaube, ich war eine richtige Nervensäge und bombardierte Steph ständig mit:
Schau, da ist auch Plastik drinnen.
Sie sprang sofort auf den Zug auf und wir haben statt auszugehen, nächtelang neben unseren Vollzeitjobs, nach alternativen Produkten für's Feiern gesucht.
Euer Credo war: Nachhaltigkeit kann auch cool und sexy sein.
Mich nervt die ganze Ökoszene mit ihrem erhobenen Zeigefinger.
Leute wie Steph und mich spricht das nicht an. Wir wollen unseren Lebensstil nicht ändern. Wir wollen Spaß haben und trotzdem nachhaltig sein.
Also gibt's nur einen Ausweg: Nachhaltigkeit muss cool, schrill und lustig sein, weil dann kriegen die Leute Lust, umzusteigen.
Nachhaltiges Feiern war Euer Einstieg. Jetzt gibt's auch Damn Plastic Shops in Salzburg und Linz. Wie geht's weiter?
Wir wollen Shops in ganz Österreich und ziehen jetzt ein Franchise-Konzept auf. Das erste Geschäft eröffneten wir im November 2019 in Salzburg. Ich ging in der Münzgasse an dieser extrem geilen Location vorbei und wollte dort sofort einen Shop aufmachen.
Ich hatte keine Ahnung, woher ich das Geld nehmen sollte, aber Steph und ein Freund von uns sind sofort eingestiegen.
Wir haben die ganze Einrichtung aus Karton-Möbeln und alten Dingen zusammengebastelt, alles selbst gestrichen und montiert. Vor einem Monat haben wir auch in Linz einen Damn Plastic Shop aufgemacht. Wir verkaufen plastikfreie Produkte – von Trinkhalmen aus Nudeln, essbaren Tellern und Bechern, mikroplastikfreien Haarshampoos und Rasierschaum bis zu plastikfreien Vibratoren (lacht). Auch Recycling-Produkte sind im Sortiment, weil damit Kunststoffabfälle zurück in den Kreislauf kommen.
Schaut man auf die Ökobilanz, ist Plastik gar keine so schlechte Erfindung.
Richtig. Wir wollen zeigen, dass Plastik per se nicht schlecht ist – wenn es im Kreislauf bleibt. Nur leider wird zu wenig in Recyclinganlagen investiert. Nur ein Bruchteil der Kunststoffe, die in Österreich eingesammelt werden, werden tatsächlich recycled.
Nach dem Prinzip "Your Trash is my Treasure" gäbe es genügend Möglichkeiten, aus Alt-Plastik wieder neue Produkte herzustellen.
Das wollen wir beweisen. In Wirklichkeit ist nicht Plastik das Problem, sondern der bequeme Mensch. Weil der sich nicht ändert, bieten wir ihm Alternativen in unzähligen Lebensbereichen.
Zum Beispiel durch weniger oder wiederverwendbarer Verpackung. Darin liegt enormes Potenzial, Müll einzusparen.
Es gibt so viele unnötige Verpackungen. Am liebsten sind mir Produkte, die gänzlich darauf verzichten.
Wir sind ständig auf der Suche nach neuen Verpackungskonzepten und bekommen dazu immer häufiger Anfragen und haben hier einiges an Kompetenz aufgebaut.
Sind Biokunststoffe keine Lösung?
Das ist der nächste Irrsinn. Da müssen wir jetzt über Single-Use reden.
Biokunststoffe wie PLA aus Maisstärke und Milchsäure werden ressourcenintensiv hergestellt und wären nur dann eine bessere Alternative, wenn wir richtig damit umgehen würden. Das heißt: Man müsste Trinkhalme oder Besteck aus PLA öfter als einmal verwenden und im Biomüll statt im Restmüll entsorgen. Das passiert aber leider nicht. Damn Plastic hat drum nur essbare Trinkhalme im Sortiment.
In der Gastronomie gibt es innovative Konzepte für "on-the-go". Hast du ein Beispiel?
Da passiert total viel. Wir kooperieren mit einem Start-up aus Deutschland, das ein Leasing-System für Geschirr entwickelt hat: Kund*innen bestellen ihr Essen. Das wird in einer Bowle geliefert und wer die Verpackung nicht innerhalb von 14 Tagen retourniert, bekommt einen Betrag vom Konto abgezogen.
Das ist ein Anreiz, das Geschirr zurückzugeben und in den Kreislauf zurückzubringen.
Aktuell wird viel auf Eigenverantwortung gesetzt. Mit der neuen EU-Plastikverordnung kommt zusätzlich Druck von regulativer Seite. Ist das notwendig, um Zero Waste für Produzent*innen attraktiv zu machen?
Absolut, auch die Plastiksteuer steht im Raum. Je schneller sie kommt, desto besser. Weil die Firmen nur umstellen, wenn's weh tut.
Wie wählt ihr eure Lieferant*innen aus?
Es gibt enorm viele Gründer*innen im Nachhaltigkeitsbereich, mit denen wir zusammenarbeiten. Wir haben hunderte Zoom-Konferenzen geführt und wählen Lieferant*innen akribisch nach strengen Kriterien aus. Mittlerweile sind es 140 und wir werden immer öfter aktiv als Vertriebspartner angesprochen.
In der Szene gelten wir schon regelrecht als Start-up-Mammis.
In unseren Shops gibt es auch eine Wish-Wall, wo Kund*innen ihre Wünsche und Ideen sammeln und wir schauen, ob es sowas am Markt gibt. Wir wollen eine richtige Bewegung starten.
Wie finanziert ihr euer Sortiment?
Wir nehmen fix eine bestimmte Menge ab, zahlen aber nicht voraus, sondern nach vier Wochen das, was wir verkauft haben. Läuft die Haltbarkeit der Ware ab, ist das unser Risiko. Umgekehrt können die Start-Ups ihre Produkte über Damn Plastic präsentieren. Das ist für beide Seiten ein fairer Deal.
Corona trifft Jungunternehmen besonders hart. Wie kommt ihr über die Runden?
Das war wirklich ein unerwarteter Schlag.
Wir sind erst kurz am Markt, haben viel investiert und bekommen jetzt weder eine Mietreduktion noch den Fixkostenzuschuss.
Der Shop in Linz soll das teure Pflaster in Salzburg querfinanzieren. Es ist irre super angelaufen. Corona hat uns vor neue Herausforderungen gestellt. Wir haben während des Lock-Downs in nur sechs Tagen einen Online-Shop aufgezogen.
Aber dann machten euch Social Media Giganten einen Strich durch die Rechnung. Was ist passiert?
In der ersten Woche haben wir super verkauft und die Päckchen mit dem Fahrrad selbst ausgeliefert bis uns Facebook und Instagram gesperrt haben. Weil wir auf unseren Accounts soziale Themen ansprechen.
Erst mit 10.000 Followern werden wir verifiziert. Insofern können wir den Shop derzeit nicht bewerben. Es muss organisch wachsen. Der Markt wartet aber auf unsere Produkte, davon sind wir überzeugt.
Euer Auftritt ist bunt und aggressiv. Wie wichtig ist authentisches Marketing für den Erfolg?
Enorm wichtig. Gerade am Anfang. Man muss herzeigen, was man im Herzen trägt.
Ich hab' oft gehört, unser Marketing sei zu schrill. Aber mir gefällt das. Und wenn es mir gefällt, gibt es auch andere, die es anspricht. Wir machen einfach das, was wir fühlen. Das ist unsere Identität und Sprache. Sie ist provokant und das mit Absicht. Alle Ideen, jedes Posting sogar das Imagevideo machen wir selbst. Auch die Homepage hab' ich programmiert.
Ich finde erstaunlich wie du die Start-up-Welt von Damn Plastic mit dem Traditionsunternehmen FN Neuhofer zusammenbringst. Dafür arbeitest du extrem viel. Wie geht sich das alles aus?
Ich mag den Ausdruck Work-Life-Balance nicht. Die Leute stecken zu oft in Jobs, die sie nicht mögen.
Ich weiß, warum ich Nächte durcharbeite: Weil ich liebe, was ich tue. Mit dem Start-up fühle ich mich gerade so, als würde ich meine Flügel ausbreiten.
Und im Betrieb meiner Eltern hab' ich die Rolle gefunden, die wirklich zu mir passt – Marketing und Produktentwicklung. Da kann ich endlich meine ganze Kreativität ausleben und mittlerweile schätzen das auch meine Eltern.
Was ist dein Tipp an Jungunternehmer*innen?
Drei Tipps: Die Dinge einfach ausprobieren, auf die innere Stimme vertrauen und Fehler als Chance sehen.
Steph und ich haben im letzten Jahr einige 'Fehler' gemacht und enorm viel gelernt. Diese Möglichkeit zu lernen, hatte ich in der Firma meiner Eltern früher nicht, weil ich gestoppt wurde, bevor was passieren konnte (lacht).
Unternehmerin zu sein, bietet mir eine Spielwiese für die wildesten Ideen.
Businessplan hattest du bestimmt keinen oder?
Nein, das wäre sinnlos gewesen. Es hat sich alles ständig geändert und ich will nicht einen Monat Zeit damit verschwenden, auf einem Papier einen Plan zu formulieren.
Ich bin risikoaggressiv und Steph risikoavers. Darum sind wir im Business ein gutes Gespann.
Sie holt mich runter und dann treffen wir zusammen gute Entscheidungen. Während die anderen was auf Papier bringen – mach ich’s einfach schon. Drum sag ich:
Ein geiles Team ist mehr wert, als jeder Businessplan.
Victoria Neuhofers wichtigster Glaubenssatz ist: It's not about damn plastic, it's about damn people. Also Leute, es gibt Alternativen, man muss sie nur wählen :-).
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