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So etwas hatte ich nie zuvor gehört

Wien's Techno-Pionierin Susanne Kirchmayr alias Electric Indigo über Umwege und Zufälle, Leidenschaft und eine ungewöhnliche Karriere.

Im Gespräch mit Doris Passler


Techno-Pionierin und Avantgarde-Musikerin Electric Indigo am Set.

Techno-Pionierin und Avantgarde-Musikerin Electric Indigo am Set. Foto © F. Mayolet


Ich besuche Susanne in ihrer Wohnung im dritten Bezirk. Blutjung in denspäten 80er Jahren verbrachte ich dort viele illustre Abende unter Freunden, die unsere Streifzüge durchs Wiener Nachtleben einläuteten. Dass sie als DJ, Produzentin und Komponistin die elektronische Musik Europas prägen und in bisher 38 Ländern auftreten würde, hätten wir damals beide nicht erahnt. Der Weg dorthin war weder vorgezeichnet, noch einfach.


Salon Profession: Wusstest du Anfang 20, was du werden willst?


Susanne Kirchmayr: Als Teenager hatte ich zwar die Idee, Kunst zu studieren. Dass das meinen Eltern nicht gefallen würde, war mir klar. Drum sagte ich im vorauseilenden Gehorsam, ich wolle Architektin werden. Aber auch das stieß auf wenig Gegenliebe.

"Das ist doch Blödsinn als Frau unter den ganzen Männern", hieß es.

Und es gäbe kaum Architektinnen. Ich glaubte kein Wort, forschte nach und kam drauf, dass es zumindest ein paar Hundert beeidete Ziviltechnikerinnen gab (lacht), was man damals eben als Architektinnen bezeichnete. Die Diskussion konnten wir leider nicht zu Ende führen, da meine Eltern davor bei einem Autounfall ums Leben kamen. Nach der Matura begann ich trotzdem mit Architektur an der TU Wien. Eher pro forma. Gerne hingegangen bin ich nicht.


Wieso?

Das Ambiente war verstaubt, die Hörsäle voller Jungs in karierten Hemden und es roch muffig.

Viel interessanter fand ich hingegen meine Freunde, die meist an der Angewandten studierten. Da wollte ich auch hin.


Stimmt. Ich auch.


Genau. Du wolltest in die Modeklasse zu Vivienne Westwood.


Und davor zu Jean-Charles de Castelbajac.


Bei mir war es zweimal die Aufnahmeprüfungen für die Industrial Design. Vergebens. Aber immerhin konnte ich als außerordentliche Hörerin teilnehmen. Das Problem war nur: Alle wollten einfach nur schnittige Autos zeichnen.

Ich fuhr zwei klassische englische Sportwagen _ einen roten MG und einen Jaguar. Für moderne Autos hatte ich kein Faible. Ich war deplatziert.

Fotos © Gerhard Heller


Das nächste Studium hätte ganz gut zu dir gepasst.


Linguistik mit einer Fächerkombination aus Informatik und künstlicher Intelligenz.

Die Wahl war eigentlich luzide. Heute wäre ich damit bei allen visionären Internetanwendungen vorne mit dabei.

Alles was mit Logik zu tun hatte, fiel mir leicht. Auch die Theorie von Sprache war spannend.


Und du hast Chinesisch gelernt.


Ich musste das Latinum nachmachen und zusätzlich eine Nicht-Indogermanische Sprache lernen. Meine Wahl fiel auf Chinesisch. Aber irgendwann habe ich den Hut draufgeworfen bei den ganzen Sprachen und wagte mit Archäologie einen letzten Studienversuch, bevor ich der Universität endgültig den Rücken kehrte.


Also die Uni war's nicht. Aber die Musik. Wie kam das mit dem Auflegen?


Platten und Musik habe ich immer schon gesammelt. Im Trabant in der Schleifmühlgasse (Anm. im vierten Bezirk), einer unserer bevorzugten Bars, legten damals die üblichen Verdächtigen des Wiener Nachtlebens ihre Lieblingsplatten auf. Darauf hatte ich auch Lust. 1989 stand ich erstmals hinter den Plattentellern. Es gab bloß zwei von Riemen angetriebene Plattenspieler und keinen richtigen DJ-Mixer. Man konnte grad mal von 33 auf 45 Umdrehungen umschalten (lacht).

Vom professionellen Mixen war ich weit entfernt. Jahrelang konnte ich mir kein eigenes DJ-Equipment leisten.

Ich spielte Funk, Jazz, Hiphop. Den Leuten hat's gefallen und ich bekam einen fixen Abend für eine Gage von 250 Schilling (Anm. ca. 20 Euro) und zwei Freigetränken. Die Besitzer waren total knausrig. Als Job würde ich es also nicht bezeichnen. Außerdem habe ich jeden Schilling in neue Platten investiert.


Fotos © Isabella Venis


Wovon hast du gelebt?


Ziemlich lange von einer recht hohen Waisenpension. Mit 26 war das vorbei. Mir ist brutal das Geld ausgegangen.


Wie hast du dich durchgeschlagen?

Mit Optimismus und Selbstverständnis.

Ich hatte kein Bargeld, aber eine Kreditkarte und da es in ganz Wien nur einen einzigen Supermarkt gab, wo man damit zahlen konnte, kaufte ich bei Meinl am Graben ein.


Dann kam Techno - ein Zufall?


Ja. Meine Platten kaufte ich in Alexander Hirschenhausers Plattengeschäft Black Market im ersten Bezirk, wo man vor Zeiten des Online-Handels die Regale nach Neuerscheinungen durchstöberte. Wiens erster House-DJ Geb.el arbeitete dort. Eines Tages drückte er mir eine Platte von DJ Rush in die Hand und sagte: "Hör' dir das an". Ich war völlig hin und weg.

Es war eine Erleuchtung. Sowas hatte ich noch nie zuvor gehört. Für mich steckte darin die Essenz dessen, was mich an Musik bis heute begeistert: harte Beats, Tempo, Bässe, das Dreckige, der Funk, das Laute.

Auch Platten des US-amerikanischen Kollektivs Underground Resistance habe ich auf seine Empfehlung hin kennengelernt. Das war mein Einstieg in Chicago und Detroit Techno.


Deinen Enthusiasmus hat kaum jemand in Wien geteilt Anfang der 90er.


In Wien war gerade Acid Jazz populär. Mit Techno konnte in meinem Umfeld zu diesem Zeitpunkt niemand etwas anfangen: Im Trabant flog ich auf ungute Art raus, als ich an einem Abend Techno auflegte.

Einflussreiche Macher der Wiener Partyszene sahen Techno als deutsche Faschistenmusik.

Veranstalter, die mein bisheriges DJ-Profil kannten, konnten mit meiner neuen Vorliebe nichts anfangen. Und die junge Wiener Rave-Szene mit DJ Pure oder Dan Lodig nahm mich anfangs als Techno-DJ nicht ernst. Heute sind wir in freundschaftlicher Kollegialität verbunden.


Und der Jugendsender Ö3-Musicbox?


Für die Musicbox machte ich schon länger Reportagen als freie Radiojournalistin, aber nur solange ich den Geschmack der Redaktion traf. Meine Faszination für Techno wurde abgelehnt. Es sei nichts Innovatives und überhaupt könne man doch keinen Journalismus machen, wenn man begeistert ist, wurde mir erklärt.

Man muss sich das vorstellen: Ich hatte Interviews mit der Original-Besetzung von Underground Resistance in der Tasche. Bin extra dafür nach München gefahren und war wahnsinnig stolz drauf. In Wien interessierte das keinen.

Die Redaktion versuchte abzublocken. Einzig Musicbox-Radiojournalist Werner Geier stärkte mir den Rücken. Trotzdem wurde mir klar: Im Journalismus werde ich hierzulande nicht groß.


Fotos © Gerhard Heller


Bei den ersten Rave-Partys in der Arena war DJ Hell aus München zu Gast. Er wurde dein Mentor. Wie kam das?


Über einen glücklichen Zufall. Kein Partymacher hatte damals Geld. Auch international renommierte Gast-DJs hat man privat untergebracht, Hell über Veranstalter Jürgen Bauer eben bei mir und wir freundeten uns an. Was Hell über die deutsche Techno-Szene erzählte, machte es mir leicht, mich kurz darauf Hals über Kopf aus Wien zu verabschieden. Berlin und München wurden die Tore zu meiner internationalen Karriere in der elektronischen Musik.


Es hat nicht lange gedauert und angesagte Techno-Clubs haben dich engagiert. Deutschland wurde deine Techno-Heimat. Wie ist das gelungen?


Na, so schnell ging das nicht: Von Hell's Begeisterung angesteckt, wollte ich die Szene in Berlin und München kennenlernen und fuhr oft per Autostopp zu Gigs.

Ich bewunderte die Intensität, Lautstärke und Gnadenlosigkeit, mit der DJs dort die ganze Nacht auf das Partypublikum losgingen (lacht).

Hell mochte mich und führte mich als Newbee in die Szene ein. Wenn er gnädig war, durfte ich ein paar Platten auflegen. Auch im legendären Tresor in Berlin. Das war damals der coolste Club, den man sich nur vorstellen kann.


Da hast du dich ganz schön was getraut.

Ja. Ich habe alles als Chance genommen.

Mangels eigenen Equipments habe ich das Mixen jahrelang in den Clubs vor Publikum geübt. Einmal war Jeff Mills (Anm. einer der bedeutendsten Vertreter von Detroit-Techno) da. Ich durfte ein kurzes Set spielen und war fürchterlich nervös. Als er meinen Auftritt mit "solid" kommentierte, fiel ich fast in Ohnmacht.


Das war alles vor der Digitalisierung der Musikbranche. Woher hattest du deine Platten?


Manche hat mir Hell geschenkt. Die wichtigste Quelle war allerdings das Hard Wax in Berlin. Es war das Mekka für Technointeressierte. Umschlagplatz für rare Platten. Szene-Treff. Mark Ernestus, der Gründer, brachte Platten nach Europa, von denen bloß gemunkelt wurde, dass es sie gibt. Er kannte alle wichtigen Leute in Detroit und Chicago, flog regelmäßig in die USA und durchstöberte ganze Lagerhallen nach neuen Releases. Er hatte eine Nase dafür. Ich wollte unbedingt dort arbeiten und bekam einen Job als Verkäuferin. Auch mein damaliges Idol DJ Rok, ein früher Wegbereiter der deutschen Technoszene und Resident-DJ im Tresor, arbeitete dort.

Im Hard Wax baute ich mir ein Netzwerk auf, das bis heute ein wichtiges Kapital für mich ist.

Dorthin kamen jede Woche Clubbesitzer und DJs der Stadt und alle Labels, die in der elektronischen Musik Rang und Namen hatten. Und ich war mitten drin. Die Leute vom Hard Wax sind bis heute so etwas wie eine Familie für mich.


Ein ziemliches People's Business oder?


Ja, sehr. Als DJ war es zwar wichtig, Platten zu haben, die sonst keiner hatte.

Viel entscheidender für den Erfolg in dieser Nische war es aber, mit Leuten, Gatekeepern und Entscheidern der Szene persönlich Zeit zu verbringen.

Daran hat sich bis heute nichts geändert.


Wer hat dich erstmals als Techno-DJ gebucht?


Das war Peter Wacha alias Upstart. Ich bin ihm dafür bis heute dankbar. Der Münchner betreibt das Label Disko B und buchte mich 1991 oder 1992 erstmals als Techno-DJ für seine Partyreihe Ultraworld in der Kulturstation. Daraus ging später der legendäre Club Ultraschall am ehemaligen Gelände des Flughafens München-Riem hervor. Die darauffolgenden drei Jahre setzten meine Karriere als DJ richtig in Gang. Funktioniert hat das meist über Empfehlung.


Ich hoffe, Du hast mehr als 250 Schilling pro Nacht verdient?


Ja (lacht). Techno-DJ's in Deutschland bekamen richtig hohe Gagen. Damit habe ich letztlich auch meine Bank in Wien überzeugt. Ich sagte meinem Berater:

Ich werde Techno-DJ und erfolgreich sein.

Der hat mir das geglaubt und gab mir einen Überziehungsrahmen.


Es lief bestens. Wieso bist du zurück nach Wien?


Aus persönlichen Gründen. Ich bin hier überstürzt weg und wollte unerledigten Kram erledigen. Außerdem hatte ich in Berlin nie eine richtige Bleibe.

Ein Jahr lebte ich illegal in Untermiete in einem Fabriksloft, wo es im Winter reingeschneit hat. Ziemlich ungemütlich.

Meine Wohnung in Wien wurde mein Rückzugsort während ich von 1997 bis 2007 zehn intensive Jahre lang viermal die Woche als DJ in einer Stadt nach der anderen - sehr oft in den USA oder in Asien - am Start war.


Vor 20 Jahren hast du die Plattform female:pressure gegründet. Warum?


Es war eine Notwendigkeit. Ich wurde wahnsinnig oft darauf angesprochen als Frau, Techno-DJ zu sein. Man stellte mich als Ausnahmeerscheinung hin. Das war ich nicht. Es gab viele Frauen in der elektronischen Musik und in Digital Arts.

Ich wollte das nicht mehr ständig erklären müssen und fand die Geschlechterthematik total ermüdend.

So kam die Idee einer Datenbank, die weibliche Protagonistinnen wie Produzentinnen, DJs, Visual Artists, Bookerinnen bis zu Journalistinnen und Forscherinnen versammelt und über ihr Schaffen informiert. Das ist jetzt 20 Jahre her. Heute kann kein_e Veranstalter_in, Produzent_in oder Journalist_in mehr behaupten, es gäbe keine Frauen in der Elektronik-Szene.

female:pressure und die Datenbank helfen, Geschlechter-Klischees zu überwinden. Elektronische Musik und Digital Arts sind weiblich, männlich, transgender und non-binary.

Fotos © Bernd Preiml 2004


Vor 15 Jahren hast du das Terrain der Avantgarde-Musik betreten. Dein Debüt-Album 511593 erschien erst 2018. Warum so spät?


Mein Engagement als DJ war intensiv und mir fehlte lange die Zeit für ausreichend eigene Kompositionen. Wie oft in meinem Leben spielte der Zufall mit. Irgendwann tauchte ich über Experimentalmusikerin Mia Zabelka und Komponistin Pia Palme in die experimentelle E-Musik ein. Tanzbare Beats hört man da weniger. Die Musik ist ruhiger, umschreibt oft weite Hallräume, durchbrochen von Geknister oder Klangfragmenten.

Die Arbeit als Avantgarde-Musikerin lässt mir großen Spielraum und ich genieße es, ewig an meinen Stücken herum zu tüfteln.

Das Komponieren und meine konzeptionellen Zugänge zu E-Musik sind viel variantenreicher, obwohl man glaube ich immer hört, dass ich aus dem Techno komme.


Mir kommen bei deinen Stücken Wien Modern und feinfühlig minimalistische Tanzmusik in den Kopf.


Das nehm ich als Kompliment (lacht).


Viele Werke wurden bei Konzerten oder auf Festivals nur ein einziges Mal aufgeführt. Eigentlich schade.


Stimmt. Die Idee für das Debüt-Album war es darum, meine Stücke unabhängig von einzelnen Events einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Und was bedeutet 511593?


Die Zahlenreihe hat eine Maschine generiert. So wie vieles in der Musik zufällig während des Schaffensprozesses entsteht.


Was kommt als nächstes?

Ich möchte das weite Feld von Techno und elektronischer Musik experimentell ausreizen und aktuell mit audiovisuellen Werken verbinden.

Im Herbst 2019 tritt Electric Indigo in Spanien, Mexiko, Honduras und Australien auf. Am 25. September 2019 ist "structuring contours" (2019 rework) live im Lemu Langenzersdorf Museum zu hören und zu sehen.

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