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Ich dachte mir, worüber soll ich schon schreiben

Tanja Paar hat mich mit ihrem Debütroman "Die Unversehrten" in den Bann gezogen. Schnörkellos. Messerscharf fallen ihre Sätze. Kein Wort ist zu viel. Mit 19 hätte sie diesen Roman nicht schreiben können, verrät mir die Autorin im Gespräch über Storytelling und ihren Weg zur Schriftstellerin.

Interview von Doris Passler



Tanja Paar ist mit "Die Unversehrten" ein Debütroman gelungen, der unter die Haut geht. Foto © Pamela Fußmann


Salon Profession: Während sich das Drama zwischen Violenta, Klara und Martin entspinnt, schaut man den drei Romanfiguren wie mit einer unsichtbaren Kamera über die Schultern und oft mitten in die Seele. An Witz fehlt es in der Patchwork-Katastrophe zwischen Liebe, Rache, Schuld und Egoismus dennoch nicht. Wie bringt man seine Leserinnen und Leser dazu, ein Buch nicht mehr aus der Hand legen zu wollen?


Tanja Paar: Ich sage es mal theoretisch: Für eine fesselnde Geschichte braucht es die richtige Erzählperspektive. Die habe ich allerdings nicht auf Anhieb gefunden. Anfangs wählte ich drei Ich-Erzählungen. Dazu müssen sich die Romanfiguren extrem stark unterscheiden. Jede/r braucht einen eigenen Duktus, sonst kennt man sich nicht aus, wer am Wort ist.

Es ist quasi die Königsdisziplin in der Literatur. Dieses Experiment landete bei mir im Papierkorb und ich entschied mich für eine personale Erzählweise.


Was heißt das?

Ich erzähle als Beobachterin, so als würde ich aus nächster Nähe jeden Schritt der Romanfiguren verfolgen. Im richtigen Moment gehe ich noch näher ran und beschreibe, was die Person denkt.


Dir ging es auch um erzählerische Gerechtigkeit. Warum?


Storytelling funktioniert meist über Heldengeschichten. Ich wollte aber, dass die Leserinnen und Leser sich nicht für eine Heldin oder einen Helden begeistern, sondern von Szene zu Szene zwischen den Figuren hin- und hergerissen werden. Sie sollten volles Verständnis dafür haben, was Violenta, Martin oder Klara gerade tun, denken oder fühlen, um im nächsten Moment den Blick auf die nächste Figur zu richten.


Das ist dir überzeugend gelungen. Aber wo fängt man an, wenn man einen Roman schreiben will?

Das Wichtigste ist ein Thema, für das man brennt. Schließlich schreibt man jahrelang daran.


Stelle ich mir gar nicht so einfach vor. Wie hast du gefunden, was dich solange gefesselt hat?


Ich liebe Chronik-Kurzmeldungen in der Zeitung, weil sich hinter knapp zehn Zeilen Druckerschwärze unheimliche Tragödien verbergen.

Bei einer Meldung über einen Kindsmord ist der Funke übergesprungen. Irgendwie hat das in mir weitergearbeitet, weil die Tötung eines Kindes eines der letzten Tabus in unserer Gesellschaft ist. Sogar an Orten, wo die Aura des Verbrechens zum Alltag zählt. Im Gefängnis. Als junge Journalistin machte ich seinerzeit für das Profil eine Reportage über den Vollzug in der Strafanstalt Schwarzau in Niederösterreich. Dort gibt es nur Straftäterinnen. Wer dort als Kindsmörderin eingesperrt war, rangierte auf niedrigstem Rang in der Gefängnishierarchie. Das faszinierte mich schon damals.

Diesen blinden Fleck, wollte ich mir genauer anschauen. Daraus sind nach drei Jahren Schreiben "Die Unversehrten" geworden.


Apropos Kindsmord. In deinem Buch setzt du ein Präludium (Vorspiel) ein. Ich habe lange gebraucht, bis ich dessen Essenz verstanden habe. Dann kam ich mir wie eine Detektivin vor, die plötzlich erkennt, wie die Stricke zusammenlaufen. Fand ich Klasse.


Das war ein ziemliches Risiko. Viele haben mir davon abgeraten. Denn die Leute lesen in die ersten Seiten eines Buches rein und wenn sie nicht gleich verstehen, worum es geht, legen sie das Buch wieder weg. Mir war es dieses Risiko wert.


Eröffnungsabend Achensee Literatur 2018 v.l.n.r.: Tanja Paar, Martin Tschoner, Hanni Münzer, Thomas Rottenberg, Theodora Bauer, Via Kaiser. Foto © Achensee Tourismus


Gute Entscheidung. Eine Frage, die dir schon oft gestellt wurde: Wolltest du immer schon schreiben?


Absolut. Meine Mutter war Dolmetscherin und mein Vater Bankbeamter, als man darin noch einen rechtsschaffenden Beruf sah (lacht).

Er war sicher, dass auch ich in der Bank arbeiten werde. Das war einer der großen Konflikte meiner Teenagerzeit, denn ich wollte das keinesfalls. Ich wollte schreiben.


Gab es Vorbilder in der Familie?


Nein. Es war auch niemand selbständig. Als junge Frau fehlte mir völlig die Vorstellung, dass man freischaffend als Schriftstellerin arbeiten könnte. Also dachte ich: Wenn du schreiben willst, brauchst du eine Anstellung bei der Zeitung.

Soweit war ich dann doch die Tochter meiner Eltern.

Erste Sporen verdiente ich mir nach der Matura bei einem Praktikum bei der Neuen Zeit, einer Grazer Tageszeitung, die es heute nicht mehr gibt. Sie war im Besitz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das linke Pendant zur Kleinen Zeitung.


Du hast im Sport begonnen.


In dem Ressort herrschte der ärgste Spruch. Nur Männer. Es war die Feuerprobe für junge Journalistinnen. Ich musste die Ergebnisse der steirischen Handball-Unterliga eingeben. Da ich mit nur zwei Fingern auf der Schreibmaschine tippte, war ich den Herren zu langsam und wurde in die Kultur versetzt. Dort war ich richtig.


Neben dem Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie hast du am Grazer Schauspielhaus hospitiert.


Die Theaterproben waren immer von 10.00-14.00 Uhr und von 18.00-22.00 Uhr und dazwischen war ich auf der Uni.

Ich dachte damals, Dramaturgin wäre ein toller Beruf für mich.

Aber das Landestheater sah vor, dass man zuvor mindestens drei Jahre als Regieassistentin arbeitet. Das war mir zu langwierig und ich habe die Idee bald verworfen.


Deine Kontakte zum Theater waren dennoch wichtig für die spätere Laufbahn.


Am Landestheater war gerade Martin Kušej (Anm.: heute Direktor des Burgtheaters). Im Forum Stadtpark passierte Spannendes in Literatur, Theater oder Fotographie. Ich erinnere mich an Ernstl Binder aus der Off-Theater-Szene, der zu mir als blutjunges Mädel immer sagte: 'Mach was du willst, aber schreib'.

Mich hat das völlig überfordert. Ich dachte mir, worüber soll ich schon schreiben, ich habe ja überhaupt keine Lebenserfahrung.


Das Schreiben wurde bei der Zeitung zu deiner Profession. Was war dafür ausschlaggebend?


Das ist eine längere Geschichte. Ich bin halb in Triest aufgewachsen, weil meine Mutter als Italienisch-Englisch-Dolmetscherin dort tätig war. So bekam ich mit, dass der Psychiater Franco Basaglia in den 70er Jahren in Italien für die Etablierung der offenen Psychiatrie kämpfte. Schlagzeilen machte er, weil er auf unhaltbare Zustände in Irrenanstalten hinwies.

In Hochsicherheitstrakten wurden Patienten mit Zwangsjacken, Eisbädern oder Elektroschocks behandelt. Basaglia sah darin keinen Sinn, sondern fand allein in der ambulanten Betreuung und Integration psychisch Kranker in die Gesellschaft eine effektive Behandlung.

In Triest hatte er Behandlungserfolge und erreichte 1978, dass das italienische Parlament die Psychiatrie reformierte und Irrenanstalten schloss. Das fand ich sehr beeindruckend und schlug der Neuen Zeit eine Geschichte über offene Psychiatrie vor. Die sagten: Wir sind eine Regionalzeitung, also schreib über Österreich. Daraus wurde eine 10-teilige Serie, auf die ich bis heute stolz bin. Dieser Erfolg hat mich bestärkt, Journalistin werden zu wollen.


Du bist von heute auf morgen nach Wien gegangen.


1991 habe ich mich beim Standard und Falter beworben. Antwort bekam ich keine. Also griff ich zum Hörer. Am anderen Ende der Leitung hob Klaus Nüchtern ab (Anm.: schon damals Kultur-Redakteur beim Falter), der mich so schnell wie möglich wieder loswerden wollte. Ich erwähnte, dass ich am Theater und für die Neue Zeit gearbeitet hatte und er verband mich zu Theaterkritiker Roland Koberg. Das war mein Glück. Denn der suchte gerade eine Vertretung, weil er zwei Monate nach Lateinamerika wollte. Zwei Tage später war ich in Wien zum Bewerbungsgespräch.


Dranbleiben. Würdest Du das jungen Leute für die Jobsuche mitgeben?

Unbedingt. Man sollte sich nichts denken, wenn man keine Rückmeldung bekommt. Einfach die Dinge selbst in die Hand nehmen.

Ich hätte mir damals ja auch denken können 'oh nein, die wollen mich nicht'. Und man soll sich auf Neues einlassen. Ich kannte keinen Menschen in Wien.


Foto © Pamela Rußmann


Nach zwei Monaten beim Falter durftest du bleiben.


Ja, ich bin dann nach Wien übersiedelt und habe den zweiten Studienabschnitt hier über die Jahre neben dem Job fertiggemacht. Viele Journalisten haben abgebrochene Studien. Ich wollte es unbedingt abschließen.


Du hast ein Stipendium an der Université de Lausanne für deine Diplomarbeit bekommen - und dabei ein wenig geschummelt.


Ich musste vor einer Kommission meine Französisch-Kenntnisse nachweisen. Zwar konnte ich Italienisch, verstand aber kaum Französisch. Sprechen konnte ich nicht mehr als 'Qui' und 'No'.

Die Jury fand mein Improvisieren und die Vorstellung, die ich lieferte amüsant und ließ mich durch. 'Französisch lernen sie eh in Lausanne', sagten sie. So war es auch.


Zurück in Wien wolltest du immer noch eine Anstellung bei der Zeitung?


Leider hat mein Vater, der plötzlich verstorben ist, nicht erlebt, dass ich unmittelbar nach dem Diplom beim Profil eine Stelle bekam. Er hätte sich sehr gefreut.

Für mich war das wie der Olymp.

Doch bald darauf, gab es in der Redaktion große Umbrüche. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen gingen nach Deutschland. Ich hatte wieder Glück und bekam vom Standard ein Angebot als angestellte Redakteurin. Ich bliebe von 1998 bis 2013. In dieser Zeit kam auch mein Sohn Leo zur Welt und ich war sehr froh, in Wien bleiben zu können, weil es eine gute Stadt für Kinder ist.


Spät kam dann doch der Schritt in die Selbständigkeit.


Gegen Ende meiner Standard-Laufbahn wusste ich, es muss sich etwas verändern. Ich nutzte vorerst eine Bildungskarenz, um mich zu sondieren und 'out of the box' etwas Anderes zu probieren. Ich studierte zwei Semester Informatik an der Universität Wien. In der Schule war Mathe immer mein Angstfach und ich wollte wissen, ob ich das unter den ganzen Nerds hinkriege. Ich hätte es sogar fertigstudiert, wenn die Uni nicht so wahnsinnig verschult geworden wäre. Berufsbegleitend ist das aufgrund von Anwesenheitspflichten kaum möglich.


Und dann?


Die Grundlage für meine Selbständigkeit war das Fernstudium International Media Innovation Management, das von Berlin ausging. Es war sehr international. Medienmacherinnen und Medienmacher, Juristinnen und Juristen und Führungskräfte von Namibia bis Brasilien nahmen daran teil. Wir besuchten Medienbetriebe auf der ganzen Welt wie die New York Times, El Pais oder Die Welt. Nach dem Abschluss habe ich mich selbständig gemacht. Seitdem arbeite ich als freie Autorin, als Lektorin für crossmediales Storytelling am APA Campus oder am fjum, mache Moderationen und schreibe literarisch.


Du schreibst jeden Tag?


Ja. Ich sitze ab 9.00 Uhr früh angezogen an meinem Schreibtisch zuhause und schreibe meist vormittags literarisch. Bei den Unversehrten war ich in engem Austausch mit meinem alten Schulfreund Peter Fuchs.

Ich kenne ihn, seit ich 17 war und wir haben uns damals geschworen: Wenn wir einmal ein Buch schreiben, helfen wir einander.

Peter lebt in Berlin und hat dieses Jahr seinen Lokalkrimi "Schöneberger Steinigung" im deutschen Querverlag veröffentlicht. Wir sind via Whatsapp jeden zweiten Tag in Kontakt und unterstützen uns bei unseren neuen Romanprojekten. Wir schicken uns Texte und diskutieren. Das ist ein unheimlich wertvoller Austausch für mich.


Austausch mit Kollegen ist dir generell wichtig?


Unbedingt. Ich habe die Leondinger Akademie für Literatur besucht, um eine Begleitung für mein Debütroman-Projekt zu haben. Dort traf man sich regelmäßig, arbeitete in Klausur an Texten und hatte ein Umfeld von Vertrauten, die das Projekt kannten und mit denen man Dinge ausprobieren konnte.


War es schwierig, einen Verlag zu finden?

Für ein Debüt, muss das Buch eigentlich fix und fertig sein.

Nimmt es der Verlag an, gibt es noch ein Grob- und Feinlektorat. Ich bin sehr glücklich mit dem Haymon-Verlag, weil ich dort im Verlagsprogramm 2018 die Nummer Eins war und toll gefeatured wurde. Die Unversehrten wurden in allen wichtigen Medien in Österreich und auch in Deutschland – von der FAZ bis zur TAZ – besprochen. Ich war auf der Leipziger Buchmesse und in Frankfurt und tourte letztes Jahr zu Lesungen durch Österreich, Deutschland und Italien. Das machte unheimlich viel Spaß.


Tanja Paar liest aus "Die Unversehrten" – Fotos © Achensee Tourismus


Wie erfolgreich ist dein Debüt?


2018 war eines meiner besten Jahre, nicht unbedingt finanziell, aber persönlich.


"Die Unversehrten" sollen auch verfilmt werden?


Ja. Aber ein Kinofilm kostet in Deutschland durchschnittlich 3,5 Millionen Euro. Eine Filmoption wurde vergeben, das heißt aber noch lange nicht, dass es einen Film geben wird.

Die Wahrscheinlichkeit ist 1:10. Ich bin gespannt, würde aber eine Bühnenfassung noch besser als einen Film finden, weil ich vom Theater komme.

Da bekommt man mit viel weniger Geld eine spannende Inszenierung hin.


2020 soll das nächste Buch erscheinen. Worum wird es gehen?


Es ist wieder eine Familiengeschichte, aber diesmal in 'historischer Verkleidung', die von der Jahrhundertwende bis in die 1940er-Jahre führt. Starke Frauen, ambivalente Männer, Flucht, Heimat, Identität, falsche Papiere. Das wird spannend, auch für mich.


Die Unversehrten

von Tanja Paar, Haymon Verlag

ISBN: 978-3-7099-3416-6

160 Seiten, 17,90€


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