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Nimm ein Dorf und ergründe es genau

Anja Salomonowitz hat dem 90-jährigen Objektkünstler Daniel Spoerri einen Film gewidmet. Wer ihn sieht, fühlt sich beschenkt. Von klugen Gedanken über das Dasein und den Kreislauf des Werdens und Sterbens. Salomonowitz selbst ist eine herausragende Vertreterin des österreichischen Dokumentarfilms. Ein Gespräch über das Erzählen privater Dinge, persönlichen Erfolg und Filme, die hoffentlich bald ins Kino kommen.


Anja Salomonowitz fotografiert von Lukas Beck


Salon Profession: "Dieser Film ist ein Geschenk" ist dein jüngster Film. Er feierte bei der Viennale'19 die Österreich-Premiere. Du hast ihn symbolisch dem Erfinder der Eat-Art, Daniel Spoerri, geschenkt. Wie hat sich das zugetragen?


Anja Salomonowitz: Das ist diese typische Geschichte, wo sich eines ins andere fügt. Ich muss ein bisschen ausholen: Als mein Vater gestorben ist, habe ich in seiner Wohnung ein kleines, rotes Porzellanherz gefunden, neben der Tür. Ich habe es mitgenommen und mir gedacht, ich werfe es im Sommer ins Meer. So als Zeichen. Ich wollte es den Gezeiten übergeben, das Herz befreien und mich befreien. Abschied nehmen.


Dein Plan ging nicht auf?


Nein. Ich fuhr zwar in den Urlaub nach Italien. Aber ich wurde krank, unser Haustier starb und da gab's noch andere Katastrophen. Zurück in Wien war das Herz immer noch im Koffer. Ich hatte vergessen, es ins Meer zu werfen.

Ich hab' dann immer wieder versucht, es loszuwerden. Es war eine richtige Qual fürs Herz, dieses Herz.

Und was hat Daniel Spoerri damit zu tun?


In diesem Sommer besuchte er mich. Es waren ein paar Leute da und während ich durch das Haus lief, fiel mir das Herz wieder ein.

Ich dachte, der Spoerri hat sicher Verwendung dafür. Er sammelt ja lauter Trödel.

Überall in seiner Wohnung sind Kisten voll mit Kochlöffeln, Scheren, Schrauben, Porzellanengeln und weiß der Kuckuck was. Das sieht man auch im Film. Alles Dinge, denen er mit seiner Kunst neues Leben einhaucht.


Das Herz legte er nicht in eine seiner unzähligen Kisten?


Er wusste es natürlich besser. Am nächsten Tag bat er mich, eine Weinkiste vorbeizubringen, die er am Vorabend im Auto vergessen hatte. Als ich in der Tür stand, sagte er:

"Ich hab' dir ein Bild gemacht. Mit dem Porzellanherz deines Vaters. Es gehört dir".

Mir kamen die Tränen. Das war eine große, zärtliche Geste. Er versteht soviel mehr vom Leben, dachte ich mir und beschloss ihm einen Film zu schenken als Dankeschön. Ich dachte damals allerdings an einen kurzen 10 Minutenfilm.



Wie habt ihr euch kennengelernt?


Ich hab den Daniel das erste Mal bereits 2015 für ein Filmprojekt interviewt, das dann leider nicht finanziert wurde. Aber er war schon bei unserem ersten Gespräch so lustig, großartig und politisch. Zwischen uns hat es sofort 'gefunkt'.


Manchmal klappt etwas nicht und etwas Anderes erwächst daraus –eine Freundschaft oder ein Film.


Alles würfelte sich zusammen, wie es gehört. Wir freundeten uns an und über die Jahre hat er mich immer wieder gefragt, was mit dem Film ist. Wir haben lange probiert, ihn doch machen zu können. Ohne Erfolg. Als er mir dann aber das Bild mit dem Herz geschenkt hat, dachte ich: 'Jetzt mach ich ihm einen Film, einen anderen halt'.


Dein 11-jähriger Sohn Oskar spielt in "Dieser Film ist ein Geschenk" Spoerri. Wieso?


Damit stelle ich die Frage an das dokumentarische Portrait selbst: Was passiert, wenn ich die portraitierte Person durch jemand anders, in dem Fall ein Kind, ersetze? Das Kind den alten Mann darstellt?

Meiner Meinung nach, erfährt man dadurch genauso viel – aber anders. Es werden unbewusste Dinge freigelegt, die wie ein Verstärker wirken: mehr Intensität und Klarheit, Witz und Leichtigkeit, selbst, wenn die Themen schwer sind. Spoerri's Kindheit wird damit auf eindringliche Weise in die Gegenwart geholt.

Da geht es um Fragen der Darstellbarkeit des Holocaust. Daniel Spoerri ist der Sohn eines rumänischen Juden, der verschleppt und ermordet wurde. Daniel war damals so alt wie Oskar jetzt.

Der Rückblick aus Oskars Mund verlängert das Gedächtnis in die Gegenwart.


Deine Filmsprache vermischt Dokumentarfilm und Spielfilm. Die Erfahrungen der Menschen verfremdest du künstlerisch. Das bekommt sehr viel Kraft.


Danke (lacht).


Ihr habt nur drei Tage gedreht. Mit einem eindrucksvollen Ergebnis.


Wie gesagt, ich wollte eigentlich einen 10-Minutenfilm machen, geworden sind es 72.

Was Spoerri über den Kreislauf des Lebens, seine Kunst und seine jüdische Identität erzählt, ist einfach für einen kurzen Film zu essentiell.

Ist der Film ein Erfolg?


In jeder Hinsicht. Vom Kameramann bis zur Musik haben eine Menge Leute einfach mitgemacht, weil ihnen die Idee gefiel, Daniel auch. Er mochte die Szenen, wo ihn Oskar nachspielt. Der Film lief sehr gut im Stadtkino, das als Filmverleih fungiert. Er wird in großen Museen auf der ganzen Welt und bei Filmfestivals gezeigt. Alles ein Geschenk. Auch auf der Diagonale'20 in Graz wäre er zu sehen gewesen, was aufgrund der aktuellen Corona-Krise nicht möglich ist. Ich freue mich deshalb sehr, dass er am 23. März 2020 im Kulturmontag, ORF 2, gesendet wird.


Als Dokumentarfilmerin recherchierst du intensiv und redest mit den Menschen. Oft über sehr private Dinge. Wie lockst du den Leuten die Geschichten heraus?

Ich mag Menschen. Wenn ich mit jemanden rede, lasse ich mich voll auf den anderen ein. Man muss bei den Begegnungen mit der Energie mitgehen, das Gesagte spiegeln – über Empathie und die eigene Art zu sprechen.

In Berlin zum Beispiel haben wir für ein Theaterstück einen Mormonenpriester mit 13 Kindern getroffen. Der Schauspieler, der ihn nachspielen sollte, Herbert Fritsch, und ich haben viel Zeit mit ihm verbracht. Wir haben sogar mit ihnen gebetet bzw. durften beim Beten dabei sein.


Wir tauchten in diese für uns fremde Lebenswelt ein. Manchmal so sehr, dass wir uns danach regelrecht abschütteln mussten.

Was möchtest du mit deinen Filmen bezwecken?


Mir geht es nicht darum, die ganze Welt zu erklären. Ich nehme lieber ein Dorf und ergründe es genau.


Du sagst, Filmemachen ist stressig. Wie läuft dein Arbeitsalltag ab?


Ich versorge in der Früh die Kinder und gehe dann in mein Büro. Ich habe einen Schreibtisch in einem kleinen Büro, wo nebenan andere FilmproduzentInnen und RegisseurInnen arbeiten. Ich bin aber meistens alleine. Dort schreibe ich zwei bis drei Stunden an meinen Drehbüchern. Oder ich zeichne die Szenen. Meistens basiert meine Arbeit auf gefilmten Interviews, die transkribiert wurden. Daraus forme ich die dokumentarische Geschichte.

Bei dieser Kopfarbeit erlaube ich mir keine Unterbrechungen. Kein Telefon. Keine E-Mails. Keine Messages. Kein Flügebuchen. Da bin ich ganz streng, sonst schaffe ich es nicht.

Die Emails sind dann meine Erholung.


Filmemachen ist teuer. Wie stehen die Chancen auf Finanzierung?


Zunächst kümmere ich mich darum nicht selbst. Das machen die ProduzentInnen. Aber ich bin natürlich involviert bei Einreichungen. Mittlerweile gibt es aber viel zu wenig Geld für die Fülle an Projekten, die sich um Filmförderung bemühen. Wenn man eine Förderung nicht bekommt, heißt das deshalb noch lange nicht, dass das Projekt nicht gut ist. Es gibt einfach so viele Projekte, sodass die Auswahl eher willkürlich scheint und nicht mehr das bessere Projekt gewinnen kann. Und da ist sowieso die Frage, wie so etwas überhaupt bewertet werden kann.


Was sind deine beruflichen Ziele?


Seit ich 14 war, wollte ich Filme machen. Ich bin also in meinem Beruf total richtig.

Manchmal sitze ich aber dennoch zu Hause und frage mich: 'Bist du sicher Anja, diesen harten Kampf immer weiter zu machen?'

Aber in Wirklichkeit kann ich es mir so und so nicht aussuchen. Wenn ich über einen neuen Film nachdenke, fallen mir automatisch diese nachdenklichen Filme über Politisches oder Soziales ein.


Zum Glück. Du erhältst internationale Anerkennung und Preise und deine Filme laufen auf hunderten Festivals auf der ganzen Welt. Du bist aktuell für den Franz-Grabner-Preis der Diagonale'20 für deinen Dokumentarfilm mit Spoerri nominiert.


Das ist schon sehr schön. Interessant sind auch die Masterclasses, die ich zum künstlerischen Dokumentarfilm halte u. a. an Universitäten wie der Aalto Universität in Helsinki oder Workshops bei Filmfestivals wie der Documentary Academy am Jihlava International Filmfestival. Dort gibt es so ein kollektives Bewusstsein.


Anja Salomonowitz fotografiert von Lukas Beck


Was sind deine nächsten Filmprojekte?


Es gibt mehrere. Zunächst einen Film über Tinder, wo ich ein Drehbuch aus den Interviews von Tinder-NutzerInnen geschrieben habe, die Dialoge werden aber Menschen aus einem Altersheim darstellen.


Das klingt sehr witzig.


Und es ist sehr zärtlich (lächelt). Darüber hinaus schreibe ich an einem Film über die Maria Lassnig. Ich bewundere ihre künstlerische Hingabe und Konsequenz. Sie dürfte schwierig gewesen sein, aber Hans Werner Poschauko, ihr ehemaliger Assistent, erzählt mir sehr rührende Geschichten über sie.


Immer nehmen deine Filme Politik und Gesellschaft ins Visier.


Ich kann nicht anders. Aktuell arbeite ich auch noch an einem Dokumentarfilm über die ukrainische Aktivistin Inna Shevchenko, Mitbegründerin der Frauenrechtsbewegung Femen. Das wird ein sehr privater Film über Inna und die Frage, wie sie mit Enttäuschungen ihrer politischen Kampagne und der unheimlichen Gewalt, die der Gruppe und ihr persönlich entgegenschlug, umgeht. Und es wird auch darum gehen, welche Lehren der Feminismus aus den Erfahrungen von Femen ziehen kann oder muss. Wie Feminismus überhaupt heute gedacht wird. Wir hatten schon einen Testdreh und ich war zu Recherchen in Paris. Sie ist eine tolle Frau und ihre Fragen sind für uns alle wichtig.


Anja Salomonowitz hat Film in Wien und Berlin studiert, lernte als Assistentin von Ulrich Seidl und anderswo. Als Dokumentarfilmerin hat sie sich mit ihrer eigens entwickelten Filmsprache international einen Namen gemacht.


"Dieser Film ist ein Geschenk"

23. März 2020, ORF2 um 00.00 Uhr

7 Tage in der Mediathek nachzusehen


Danke an www.lukasbeck.com für die Portraitfotos

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